Dienstag, 28. Oktober 2008

Alexander Newski als Propaganda-Figur



Wie andere Werke des sowjetischen Filmschaffens in den 30er und 40er Jahren ist auch Alexander Newski vor dem Hintergrund der damaligen politischen Verhältnisse der Sowjetunion zu sehen. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis zum Dritten Reich. Erklärte Absicht war es, mit diesem Film den Hass gegenüber Deutschland zu schüren. Entsprechend ist - auch hinsichtlich des Kostümbildes - die Charakterisierung der gegnerischen Ordensritter ausgefallen, die vor keiner Gräueltat zurückschrecken und Hakenkreuze sowie an Stahlhelme der 1930er Jahre erinnernde Kopfbedeckungen tragen.

Welche große propagandistische Bedeutung Alexander Newski seitens der sowjetischen Staatsführung zugedacht worden ist, wird schon allein dadurch deutlich, dass Sergei Eisenstein, der zuvor mit Panzerkreuzer Potemkin (1925) zu einem auch international hoch geachteten Filmkünstler aufgestiegen war, auf Wunsch des Diktators Josef Stalin mit der Regie dieses Films beauftragt worden war. Eisenstein nutzte diesen Film dann auch dafür, sein leicht beschädigtes politisches Image, das zur Beistellung von Dmitri Wassiljew als Co-Regisseur geführt hatte, aufzupolieren. Wie gut ihm dies gelungen ist, belegt zum einen Stalins Äußerung, Eisenstein habe sich durch sein Werk auch als „im Grunde guter Bolschewik“ erwiesen. Aber auch der Lenin-Orden, der ihm in Würdigung seiner Arbeit an Alexander Newski vom Obersten Sowjet verliehen worden ist.

Neun Monate nach der Premiere im Bolschoi-Theater, die am 23. November 1938 stattgefunden hatte, durfte Alexander Newski zunächst nicht mehr in Kinos der Sowjetunion vorgeführt werden. Der wesentliche Grund: Nach Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts vom 23. August 1939 passte dieser Film nicht mehr ins gewandelte außenpolitische Konzept der Sowjetunion gegenüber dem Deutschen Reich. Nach dem Angriff deutscher Truppen auf die Sowjetunion im Juni 1941 konnte von dieser Filmpolitik keine Rede mehr sein: Auf Geheiß Stalins war der Film ab diesem Zeitpunkt nicht nur in jedem sowjetischen Kino zu zeigen. Als Beitrag zur Motivation der gegen die deutsche Wehrmacht kämpfenden Truppen der Roten Armee wurde er auch im großen Stil in Frontvorführungen gezeigt.

Alexander Newski stellt einen wichtigen Meilenstein in Sergei Eisensteins Werk dar. Er hatte 1929 die Sowjetunion verlassen und versuchte sich in Hollywood an verschiedenen Projekten, von denen aber keines verwirklicht wurde. Da das Studiosystem nicht mit Eisensteins Arbeitsweise (und umgekehrt) zurechtkam, verließ er resigniert die Vereinigten Staaten und verpflichtete sich für ein Filmprojekt in Mexiko. Sein Film Que Viva Mexico blieb aber zunächst unvollendet und erschien später in einer verstümmelten Version. Eisenstein erholte sich nie von dem Debakel. Er kehrte 1933 in die Sowjetunion zurück, begann aber erst nach zweijähriger Pause wieder mit der Arbeit an einem neuen Film. Die Arbeiten an diesem Film, Die Beshin-Wiese, wurden aber nach kreativen Differenzen mit Boris Schumjatski, dem Generaldirektor der Hauptverwaltung Film, abgebrochen. Der Auftrag, Alexander Newski zu drehen, rettete Eisensteins Karriere. Der Film wurde sein erster längerer Tonfilm und der erste unter der Kontrolle von Eisenstein vollendete Film seit 1930.

Filmgeschichtliche Bedeutung besitzt Alexander Newski darüber hinaus wegen der von Sergei Prokofjew komponierten Filmmusik. Dies auch deshalb, weil sich die künstlerische Zusammenarbeit zwischen Eisenstein und Prokofjew nicht darauf beschränkte, den Komponisten Musik zum bereits geschnittenen Film liefern zu lassen. Vielmehr sind die Bilder teilweise - zum Beispiel die an ein Ballett erinnernden Szenen der entscheidenden Schlacht auf dem Eis - auf die Musik geschnitten worden. Eine für damalige Verhältnisse revolutionäre Vorgehensweise. Auf der Grundlage seiner Filmmusik entstand später Prokofjews Kantate Alexander Newski op. 78.

Im Laufe der Jahre hatte die Wiedergabequalität des Originalmaterials so deutlich abgenommen, dass auf dieser Grundlage keine zuverlässige Rekonstruktion der Filmmusik Prokofjews mehr möglich war. Dies änderte sich erst, nachdem im Jahr 2003 die Originalpartitur wieder aufgetaucht war. Dem deutschen Dirigent Frank Strobel gelang daraufhin die Rekonstruktion, die anschließend im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt sowie im Moskauer Bolschoi-Theater zu hören war.

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